Das Graduiertenkolleg untersucht die „Politik der Aufklärung“ vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Es fragt einerseits, wie die Aufklärung dachte und handelte und andererseits wie die Vorstellung von Aufklärung durch politische Absichten und Entscheidungen konstituiert und immer neu besetzt wurde und wird: Wie macht die Aufklärung Politik? Und wie macht Politik die Aufklärung?
Erforscht werden also sowohl die zentralen Konzepte, Narrative, Bilder und Denkfiguren, mit denen die historische Aufklärung des 18. Jahrhunderts Politik formatiert, als auch die Art und Weise, wie ‚Aufklärung‘ und mit ihr assoziierte Konzepte vom 19. bis ins 21. Jahrhundert verstanden und in politischen Auseinandersetzungen eingesetzt werden. Beide Fragerichtungen bilden einen sachlichen Zusammenhang, weil die Aufklärung im 18. Jahrhundert nicht in einer Reihe feststehender Anschauungen oder Behauptungen besteht – also etwa dem Primat der Vernunft oder des Rechts –, sondern in einem auf die Zukunft hin entworfenen Projekt, das im Rückblick historisch und global sehr verschieden interpretiert worden ist. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen: Anders als viele Epochenbezeichnungen ist ‚Aufklärung‘ bis heute ein politisch besetzbarer Referenzpunkt.
Vieldeutigkeit und Agonalität: Die Politik und das Politische
Das Graduiertenkolleg geht davon aus, dass die Vieldeutigkeit und Agonalität der Aufklärung mit deren politischem Charakter zusammenhängt. Aufklärung ist immer schon ein politisches Projekt, weil sie die Welt verändern will und daher in sie eingreift; zugleich steht sie auch selbst immer in politischen Macht- und Interessenkonstellationen. Das kann dazu führen, dass ihre oft universellen Behauptungen und Ansprüche faktisch partikularen Interessen dienen, wie es die post- und dekoloniale Kritik oft dem ‚europäischen Universalismus‘ vorwirft. Diese Spannung untersucht das Graduiertenkolleg am Leitfaden der Unterscheidung von der Politik und dem Politischen: Steht Politik für konkrete Entscheidungen und Verfahren, so beschreibt das Politische die meist impliziten Vorannahmen über das Zusammenleben. Beide Momente stehen in einer Wechselbeziehung und erlauben eine differenzierte Analyse sowohl der Innenperspektive aufklärerischer Diskurse als auch der Außenperspektive ihrer Grenzen und Ausschlüsse.
Interpretationen und Vereinnahmungen: Die Nachgeschichte der Aufklärung
Die der Politik der Aufklärung innewohnende Spannung bestimmt auch ihre Nachgeschichte. Aufklärung ist auch deshalb heute umstritten, weil sie im 19. und im 20. Jahrhundert immer wieder neu und immer wieder anders bestimmt wurde. Gerade ihr politischer Kern – konkret: ihr Verhältnis zur französischen Revolution – wurde und wird permanent neu gedeutet. Schon aus hermeneutischen Gründen ist es daher notwendig, die Aufklärung und ihre Nachgeschichte, das heißt ihre Interpretationen, Anwendungen, Vereinnahmungen, Aneignungen, zusammenzudenken. Erst durch diese Nachgeschichte wird verständlich, warum die Aufklärung bis heute in aller Regel sowohl als historische Epoche als auch als aktuelles oder zu aktualisierendes Projekt verstanden wird.
Anwendungen und Aneignungen: Aufklärung im globalen Kontext
Auch im globalen Kontext endet die Aufklärung nicht um 1800, sondern wird in zahlreichen Projekten der Modernisierung, Verbesserung, Befreiung usw. aufgegriffen, die sich oft emphatisch auf die Aufklärung beziehen. Diese Bewegungen sind so vielfältig wie widersprüchlich und nur sehr partiell erforscht. Sie arbeiten sich oft an der Hegemonie des ‚Westens‘ ab und entwickeln kritische Alternativen, die es erlauben, die Grenzen der Aufklärung neu zu verstehen. Der Dialog zwischen solchen aufklärungskritischen Positionen und der Aufklärungsforschung ist explizit Ziel des Graduiertenkollegs und unterstreicht auch seine gesellschaftspolitische Relevanz angesichts einer Gegenwart, in der wieder heftig über Aufklärung gestritten wird.